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Austria Börsenbrief
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Der Staat soll es also richten?

07.09.2022 | Austria Börsenbrief Nr. 35/2022

Der Tod von Michail Gorbatschow hat nicht nur weltweite Anteilnahme ausgelöst, er hat in zahlreichen medialen Rückblicken noch einmal ein Licht auf die Umwälzungen geworfen, mit denen der russische Spitzenpolitiker die Welt (und vor allem die russische Bevölkerung) überraschte. Glasnost und Perestroika - Schlagworte, die untrennbar mit Gorbatschow verbunden sind. Hinter der politischen Kehrtwende stand allerdings ein im Stillen ausgetragener Kampf zweier wirtschaftlicher Systeme. Im Vertrauen auf die Stärken der Marktwirtschaft und mit einem gelungenen Bluff – Stichwort: Star Wars – war es US-Präsidenten Ronald Reagan gelungen, die staatlich gelenkte Planwirtschaft Russlands an die Wand zu drücken. Russland konnte sich den Kalten Krieg und die Aufrüstung aufgrund seiner geringeren Wirtschaftskraft einfach nicht mehr leisten. Gorbatschow hatte praktisch keine andere Wahl, als einen Wechsel des Systems herbeizuführen. Das soll seine Leistung nicht schmälern, aber es sollte uns zum Nachdenken bewegen.

Immer lauter wird ja jetzt auch „im Westen“ der Ruf nach staatlichen Interventionen, um die Inflation zu bekämpfen. Der Staat soll´s also richten. Doch „der Staat“ – in diesem Fall: Die EU - trägt zumindest Mitschuld an der derzeitigen Situation. Die an dieser Stelle mehrfach kritisierte Geldflut, die die EZB über die Märkte ergoss, ist eine nicht zu unterschätzende Ursache der derzeitigen Geldentwertung. Stimmt, die Energiepreise sind aktuell die gewichtigsten Preistreiber, aber die Basis bildete die Geldmengenpolitik der EZB. Sind staatliche Interventionen das passende Heilmittel gegen die Inflation? Die Wirksamkeit von Preisgrenzen ist umstritten. Kurzfristig können sie Entlastung bringen, doch Versorgungsengpässe sind eine der drohenden negativen Folgen.

Dass die Energiemärkte hysterisch und überschießend reagieren, war in jüngerer Vergangenheit mehrfach zu beobachten. Es gibt ja nicht weniger Erdgas und Erdöl auf der Welt als vor der Krise, und wenn Sparmaßnahmen greifen, Europa neue Lieferanten findet und Russland damit aufhört, Gas abzufackeln, werden sich die Preise wieder einpendeln. Stimmt, das kann lang dauern, ist aber nachhaltiger und effizienter als jede andere Maßnahme. Gefragt ist der Staat derzeit aber auch, um Haftungen für Energieversorger zu übernehmen, die an den Strombörsen für ihre Futureskontrakte Sicherheiten nachweisen müssen. Da haben nicht nur die Politiker einiges missverstanden, sondern wohl auch die Energiemanager. In Deutschland existieren solche Schutzschirme bereits, und ohne einen solchen hätte man sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen dürfen. Fällig wird der Milliardenbetrag jedenfalls nur, wenn alles schief geht was schief gehen kann. Vollkommen ausschließen kann das niemand, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering.

Bleiben werden jedenfalls höhere Energiepreise, auch wenn sich die Lage wieder stabilisiert hat. Damit geraten Industriezweige unter Druck, die für Europa und insbesondere für die EU-Konjunkturlokomotive Deutschland bisher zentral waren: Chemie, Autoindustrie, Papier und Pappe. Die Energiekrise wird jenen Strukturwandel herbeizwingen, der sich bereits in „Friedenszeiten“ abgezeichnet hat.

Franz C. Bauer

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