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Austria Börsenbrief
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Hat die Europäische Zentralbank die Inflation verschlafen?

15.06.2022 | Austria Börsenbrief Nr. 24/2022

Hat die Europäische Zentralbank die Inflation verschlafen? Immer häufiger ist aus Ökonomenkreisen Kritik an der Zinspolitik der EZB zu vernehmen. Kritisiert wird vor allem, dass Christine Lagarde den Auftrag der EZB missachtet hat. Dieser lautet nämlich, ausschließlich, die Geldwertstabilität des Euro zu garantieren. Genau da hat Lagarde völlig versagt. Mit der großzügigen bis leichtsinnigen Öffnung des Geldhahns hat die Französin zwar das Geschäft der Schuldenstaaten – darunter auch Frankreich, vor allem aber Griechenland, Italien und Spanien – besorgt und die Zinsen niedrig gehalten, doch den Euro hat das sowohl nach innen als auch nach außen geschwächt. Der derzeitige Inflationsschub macht vor allem die ärmeren Europäer noch ärmer, und der Verfall des Außenwertes der Währung und die aus Sicht der Europäer schlechteren Wechselkurse sind die nicht minder sichtbaren Zeichen des Versagens. Die Inflation ist sozusagen die Steuer, mit der wir die Staatshilfen jetzt zurückzahlen.

Dass hinter dem Fehlverhalten Lagardes System steckt, darauf haben wir bereits hingewiesen. Die EZB hat entgegen ihren gesetzlichen Vorgaben ganz klar Konjunkturpolitik betrieben, indem sie massiv Staatsanleihen gekauft hat, und die Währungspolitik vernachlässigt. Die Zeche dafür zahlen jetzt wir alle in Form höherer Preise. Das Vorbild für die EZB war offenbar das US-Zentralbankensystem FED, das allerdings im Gegensatz zur EZB ausdrücklich dazu verpflichtet ist, sowohl Währungspolitik als auch Konjunkturpolitik zu betreiben. Deutliche Anzeichen einer Wende gibt es allerdings: Die Rückführung der Anleihenkäufe und die Ankündigung einer Zinserhöhung im Sommer sprechen dafür, dass die EZB bereits in der Julisitzung reagieren wird und den Zinssatz um (mindestens) 50 bp anheben wird. Einzig positiver Aspekt: Die Phase der Strafzinsen auf privaten Konten wird damit wohl bald der Vergangenheit angehören.

Was möglicherweise ebenfalls bald der Vergangenheit angehört, ist die derzeit übliche Methode der Bewertung von Aktien. Anknüpfend an den Leitartikel der vorigen Ausgabe, der zu einigen Diskussionen geführt hat, sei hier noch einmal angemerkt: Regionale und geopolitische Risiken fehlen in der aktuellen Bewertungspraxis so gut wie vollständig, aber das war nicht immer so. Ältere Anleger werden sich daran erinnern, dass Schwellenländer-Aktien bis vor rund einem Vierteljahrhundert noch mit Bewertungsabschlägen gehandelt wurden. Ja, Sie haben richtig gelesen – BewertungsABSCHLÄGEN, also KGVs, die zehn bis 20 Prozent unter jenen der Industrieländer lagen. Damit sollten die politischen und regulatorischen Risiken diskontiert werden, die damals mit einem Engagement in diesen Regionen verbunden waren.

Fast unmerklich hat sich dies in den vergangenen Jahren gewandelt, und aus den Abschlägen wurden Aufschläge. Hintergrund war die Verlagerung des Anleger- und Analystenfokus weg von den Risiken hin zu den Chancen. Tatsächlich liefern zahlreiche Schwellenländer ja kontinuierlich höhere Wachstumsraten. Die Risiken wurden so gut wie vollständig ausgeblendet. Das wird sich in nächster Zeit wohl ändern müssen.

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