Der neue Kalte Krieg dürfte Anlegern auch künftig einiges an Performance kosten

Die Anleger müssen sich derzeit mehr mit dem Thema Politik beschäftigen, als den meisten von ihnen recht sein dürfte. Dafür sorgt momentan primär der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, hat dieser doch in der laufenden Woche einen neuen Siedepunkt

Kalter Krieg Russland und USA

Die Anleger müssen sich derzeit mehr mit dem Thema Politik beschäftigen, als den meisten von ihnen recht sein dürfte. Dafür sorgt momentan primär der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, hat dieser doch in der laufenden Woche einen neuen Siedepunkt erreicht.

Verantwortlich dafür ist die Anerkennung von Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten durch Russland und der Entscheidung des russischen Präsident Putin in die beiden von der Ukraine abtrünnigen Gebiete im Osten des Landes eigene Truppen zu entsenden. Nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 steht die Ukraine somit der nächsten Beschneidung ihrer territorialen Integrität gegenüber. Ein Tatbestand, der auch der NATO nicht gefällt und worauf man mit Sanktionen gegen Russland reagiert.

An den Börsen fiel die Reaktion darauf am Dienstag letztlich noch einigermaßen glimpflich aus. Wobei man aber bedenken muss, dass die Notierungen bereits zuvor zumeist deutlich nachgegeben hatten. Dass es kurzfristig nicht noch weiter abwärts ging, dürfte mit der Einschätzung vieler Marktteilnehmer zu tun haben, dass es zu keinem russischen Einmarsch in den Rest der Ukraine kommt. Ob sich diese Hoffnung tatsächlich erfüllt, ist allerdings völlig offen.

So oder so ist zu konstatieren, dass sich das geopolitische Umfeld in den vergangenen Wochen weiter eingetrübt hat. Ed Yardeni von Yardeni Research stellt in einer aktuellen Aussendung sogar die These auf, dass der Kalte Krieg wieder zurück ist. Zur Untermauerung dafür verweist er darauf, dass die Beziehungen zwischen Russland und China auf der einen Seite und dem Westen auf der anderen Seite in den letzten Jahren immer frostiger geworden sind. Und eben seien die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sogar eiskalt geworden.

Zur geschichtlichen Einordnung muss man wissen, dass der erste Kalte Krieg im November 1989 endete, als die Berliner Mauer fiel. Laut Yardeni schrieb der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in einem Buch, die westliche liberale Demokratie habe den Totalitarismus besiegt. Doch wie die Gegenwart zeige, ist diese Geschichte noch nicht zu Ende, und auch der inhärente Konflikt zwischen Demokratie und Autokratie ist es nicht, so Yardeni.

Bestückt mit dem Wissen, dass die Geopolitik einen spürbar prägenden Einfluss auf die Weltwirtschaft hat, blicken auch die Analysten bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) skeptisch auf die jüngste Entwicklung. Auf längere Frist zeichnet sich ein Replay der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts ab, befürchtet man dort.

Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan begann damals mit einer beträchtlichen Rüstung, während Paul Volcker eine prononcierte Antiinflationspolitik betrieb. Zwar wurde in vielen Staaten des Westens damals so agiert, nirgends aber so heftig in der Ausprägung wie in den Vereinigten Staaten. Die Effekte waren gemäß LBBW ein sehr stark aufwertender US-Dollar und eine Sowjetunion, die wirtschaftlich nicht mehr mithalten und die Rüstung nicht mehr finanzieren konnte.

Panikattacke Nr. 74 an der Wall Street

Ein Rüstungswettlauf und ein Kampf gegen die Inflation sind natürlich keine Rahmendaten, welche die Bullen unter den Börsianern zu Käufen inspirieren. Vielmehr hat sich seit dem 18. Februar laut der Zählung von Yardeni Panikattacke Nr. 74 seit dem Beginn des aktuellen Bullenmarktes im Jahr 2009 entfaltet. Diese führt er hauptsächlich auf die Russland-UkraineKrise zurück. Die vorherige Panikattacke habe am 5. Jänner begonnen und sei auf die Aussicht einer strafferen Geldpolitik durch die US-Notenbank zurückzuführen gewesen. Diese beiden aufeinander folgenden Panikattacken wiederum haben inzwischen bewirkt, dass der S&P 500 seit seinem Rekordhoch am 3. Jänner um mehr als 10% gefallen ist. Das qualifiziert den jüngsten Kursabschwung als Korrektur, wovon man ab Einbußen von mehr als 10% spricht.

Mut macht theoretisch, dass sich geopolitische Krisen früher oft als Kaufgelegenheiten für Aktienanleger erwiesen haben. Trotzdem stellt sich die Frage, ob dieses Mal vielleicht trotzdem ein Bärenmarkt droht und somit Verluste von mehr als 20%. Dazu könnte es in Verbund mit einer Rezession laut Yardeni dann kommen, wenn die jetzige Krise zu noch deutlich höheren Öl- und Gaspreisen in den USA, Europa und dem Rest der Welt führt. Wie die Sache ausgeht, wagt Yardeni derzeit nicht zu prognostizieren, doch er kann sich vorstellen, dass sich der Aktienmarkt in nächster Zeit weiterhin unbeständig seitwärts bewegen könnte.

Sehr interessant an der derzeitigen Ausgangskonstellation ist ansonsten, dass die auf Sicht von zwölf Monaten geschätzten Umsätze, Gewinne und Ergebnismargen beim S&P 500 in der vergangenen Woche neue Rekordwerte erreicht haben. Die vorherrschende Widerstandsfähigkeit der S&P 500 Index-Gewinnspanne bezeichnet Yardeni als beeindruckend. Seit Jahresbeginn bewegt sie sich um die Rekordmarke von 13,0%, und das trotz steigender Arbeits- und Materialkosten sowie eines regelrechten Mangels an Arbeitskräften und Rohstoffen.

Während ein schnelleres Produktivitätswachstum einen Teil dieser Widerstandsfähigkeit erklären könnte, ist eine offensichtlichere Erklärung aus Sicht von Yardeni, dass die meisten Unternehmen ihre Kosten direkt auf ihre Verkaufspreise umlegen. Es könnte sich dabei um eine klassische Lohn-PreisSpirale handeln, die zunächst durch eine von der Nachfrage angezogene Inflation, nun aber auch durch eine von den Kosten angeheizte Inflation angetrieben wird.

Dass die Kurse an der Wall Street zuletzt trotzdem spürbar gefallen sind, hat damit zu tun, dass die neuen Konstellationen in Sachen Geo- und Geldpolitik zu einer Bewertungskontraktion führen. Und weil die beiden dafür verantwortlichen Faktoren vermutlich so schnell nicht wieder verschwinden werden, dass sie dauerhaft zu niedrigen Bewertungsrelationen führen, als das bisher dank einer Friedensdividende und einer sehr expansiven Geldpolitik der Fall gewesen ist.